Der Bahnhof

Wir waren den ganzen Tag unterwegs gewesen und sehnten uns nach etwas Ruhe und einer Dusche. Der Weg zum Hotel führte uns an dem Restaurant vorbei, in dem wir schon einmal Abends etwas getrunken hatten und wo man uns auch ein Abendbrot angeboten hatte. Da Durst bekanntlich schlimmer als Heimweh ist, gingen wir auf ein Bier hinein. Die meisten Tische waren besetzt, aber schnell wurde für und etwas umgeräumt und wir konnten unser Bier bestellen. Nach dem langen Tag, war die Flasche leer, kaum daß die Bedienung weg war. Nach dem Zweiten überlegten wir, ob wir hier nicht essen wollten. Eine Speisekarte gab es nicht. So besprachen wir mit der Köchin die Speisefolge. Nachdem wir uns auf Huhn mit Gemüse und Kartoffeln geeinigt hatten, ging sie einkaufen. Damit hatten wir nicht gerechnet. Nicht, das alles frisch sein musste, nein, sie hatten nichts da. Zu selten wurde hier etwas zu Essen bestellt, daß es sich nicht lohnte, irgendetwas auf Vorrat zu haben. Die Segnung der Zivilisation mit tiefgefrorenen Fertiggerichten hatte hier glücklicherweise noch nicht Einzug gehalten. Auch in afrikanischen Restaurants vertreibt man sich die Zeit bis zum Essen mit Trinken, Gesprächen und der Beobachtung der anderen Gäste. Das letztere war für uns insofern schwierig, weil wir hier die bunten Hunde waren und aller Augen jede unserer Gesten neugierig verfolgten. nun schauten wir zurück und sie sahen verschämt weg. Nicht alle. Einige Mädchen hielten auch unseren Blicken stand und zwinkerten kess mit den Liedern. Gilt doch jeder Weiße, egal welchen Alters, als reich und somit begehrenswert. Nicht im sexuellen Sinne, aber um den Mehrwert abzuschöpfen. Vielleicht kann man ein paar Bier, Zigaretten oder etwas zum Essen erschnorren. Der größte Glückstreffer wäre natürlich eine Liaison. Das fern von Afrika winkende unbekannte Leben muss doch gänzlich ohne Sorgen für den Lebensehrhalt sein. Wenn diese armen Geschöpfe wüssten, welche Probleme sie in Europa erwarteten - sie würden es dennoch versuchen. Denn alles erscheint ihnen erstrebenswerter als der tägliche harte Kampf ums Dasein in Afrika. Mag das auch für uns Fremde sonderbar anmuten, aber jeder Sozialhilfeempfänger in Deutschland ist besser versorgt und muss sich keine Gedanken um die nächste Mahlzeit machen.
Ich hatte offensichtlich einmal falsch reagiert, und schon hatten wir eine Tischdame. Sie war sehr jung und für den Samstagabend angezogen. Ein schmuckes, hochgeschlossenes langes kariertes Kleid mit einem weißen Kragen. Ich bestellte ihr ein Bier und versuchte mit ihr ins Gespräch zu kommen. Leider beantwortete sie alle Fragen mit „Yes“ und einem Aufblitzen ihrer schwarzen Augen. Die englische Sprache wird in Tansania nicht als Amtssprache geführt und damit auch nicht in der Schule gelehrt. Aber sie sprach fließend Kisuaheli. Da musste ich passen. Dank ihrer Sprachbegabung hatten wir bald vier oder fünf weitere Tischdamen, die sich unser Bier schmecken ließen und eifrig „Yes“ sagten. Glücklicherweise erlöste uns die Köchin mit dem Essen von dieser unerfreulichen Unterhaltung und nachdem wir uns gesättigt hatten, bezahlten wir für die zwanzig Bier und zwei Essen DM 12,50 und verabschiedeten uns.
Im Hotel liefen die Vorbereitungen auf die Samstagsdisco, die gegen 22:00 beginnen sollte. Wir wollten nicht teilnehmen, da uns der lange Tag in den Knochen steckte. Da tat uns die Dusche, wenn auch mit lauwarmen Wasser, besonders gut. kaum lagen wir unter unseren Moskitonetzen im Bett, dröhnten die ersten Akkorde der Disco durch die Nacht. Die Lautstärke war unerträglich, da, auf Grund der angenehmen Temperatur, das Vergnügen bei geöffneten Fenstern stattfand. Ich versuchte noch eine Weile trotzdem einzuschlafen, aber schließlich gab ich es auf, zog mich wieder an und schaute den tanzwütigen jungen Damen zu. Wie Europa widmeten sich die Jungs dem Bier und die Mädels gaben sich voller Rhythmus den Klängen der Musik hin. Mit ihrer bunten Kleidung und in ihrer Bemühung die Bewegungen der Akteure der Musikvideos zu kopieren, waren sie sehr hübsch anzuschauen. Ich trank zwei Bier, während ich der Jugend von Kigoma bei ihrer Samstagabendunterhaltung ein wenig zuschaute. Dann rief mich aber doch mein Bett.
Der Sonntag machte seinem Namen alle Ehre. Bei strahlender Sonne nahmen wir unser morgendliches Bad und gingen dann zum Frühstück. Die erste Stärkung für den Tag war heute besonders wichtig, weil unser Fototermin anstand und wir nicht wussten, was uns da erwarten würde. Waren wir bisher die einzigen Weißen hier gewesen, so fanden sich heute noch zwei junge Frauen und ein Pärchen ein. Alle aus Deutschland und weit gereist. Die Frauen kamen aus Simbabwe, wo sie eine Verwandte besucht  hatten und dann über Sambia von Munpulungu mit dem Schiff bis Kigoma gereist waren. Das Pärchen aus Köln kam von Nairobi und hatte Bekannte in Mwanza besucht. sie hatte die Reise bis hierher mit dem Bus gemacht und wollten nun, wie wir, von hier mit dem Schiff nach Mumpulungu. leider konnte wir im Moment diesen interessanten Erfahrungsaustausch nicht länger verfolgen, weil wir unseren Fotographen nicht warten lassen wollten. Da wir noch ein paar Tage gemeinsam im gleichen Hotel wohnen würden, fänden wir sicher noch genügend Gelegenheit, die neue Bekanntschaft zu vertiefen.
Heute kamen endlich unsere neuen, speziell für unsere offiziellen Auftritte in Tansania angefertigten T-shirts zum Einsatz. Mit der Aufschrift :“Leipzig kommt“ sollten es auch die Einwohner und Besucher von Tansania erfahren. Wir waren schon da!
Das Aufnahmeteam bestand, außer den Stars, also uns, selbstverständlich aus dem boss, der auch als Fahrer und Regisseur eingesetzt wurde, dem Kameramann und der Enkelin des bosses,  die das Lokalchlorit verbessern sollte, was ihr auch gelang. Wir fuhren in einem älteren Modell eines Toyotageländewagens zum Bahnhof. Das Bauwerk in Kigoma, das auf Grund seiner Dimension und architektonischen Ausgewogenheit uns schon bei unserer Ankunft begeistert hatte. Kein vergleichbares Gebäude war uns seit unsere Abfahrt aus Dar Es Salam zu Gesicht gekommen. Seine Fassade zur Stadt war nichtssagend. Wir wählten den Blick, den der Reisende hat, wenn er nach 1250 km und 40 Stunden Fahrt von der Küste kommend, aus dem Wagon klettert.
>an diese stelle kommt die Architektenbeschreibung <

>Bahnhof mit CocaCola<


Der europäische Reisende vermisst, schaut er zum Bahnhofsgebäude, oder sucht den Bahnsteig danach ab, den Hinweis mit dem Namen des Ortes, wo der Zug gehalten hat. Der geübte Reisende weiß natürlich wo er angekommen ist. Aber die Anderen? Es fehlt nicht. Etwas schief, abseits neben einigen Werbetafeln kann man lesen, daß man in Kigoma ist.

>Kondomwerbung<
Unser Fotograph nahm uns wieder mit zurück und versprach uns für Montagnachmittag die Bilder.
Wir freuten uns auf einen ruhigen Nachmittag im Hotel. Daraus wurde aber nichts, weil die Disco auf die Terrasse umgezogen war und hier bis zum Abend ihre Klänge über den Tanganjikasee schickte. Uns blieb nichts anderes übrig, als gute Miene zum lauten Spiel zu machen. Wir mischten uns also unter das Volk, setzten uns in den Schatten und vertrieben uns die Zeit mit Bier trinken. Zu uns gesellte sich bald unser neuer Bekannter aus Uganda. Er war vor wenigen Tagen mit dem Bus gekommen und machte hier ein paar Tage Ferien. Er war beruflich Entwicklungshelfer aus Österreich und leitete ein Imkereiprojekt. Er konnte sehr anschaulich die Auswüchse schildern, welche das Entwicklungsprojekttum treibt. Leider finden realistische Darstellungen dieses Unwesens keine Medienakzeptanz, weil die finanziellen Interessen der Organisationen und ihrer Mitarbeiter in Gefahr gerieten. Die Überheblichkeit mit der die zivilisierte Welt an die Lösung der Probleme der Afrikaner herangeht, zeigt ihre Ignoranz der eigentlichen Ursachen und tatsächlichen Bedürfnisse. Mit etwas Vernunft blieben dem Steuerzahler der Industrienationen einige Ausgaben erspart und den Afrikanern würde eine wahre Hilfe zu Teil werden können. Aber wo, wo das Geld alles und die Menschlichkeit nichts beherrscht, kann man schon Vernunft finden.
Wir staunten nicht schlecht, als aus den Lautsprechern ein Lied mit deutschem Text erklang und die schon etwas müde Discogemeinde wie entfesselt ihre Leiber verrenkte. Die Erklärung folgte bald, der Refrain war in Kisuaheli. Ob das dem Songschreiber wohl so klar gewesen war?
Wir trafen unseren neuen Freund Ruppert zum Frühstück wieder. Er verabschiedete sich von uins mit einem Geschenk von seinem Projekt – ein Glas Honig. Er zog weiter durch Tansania und suchte nach Möglichkeiten ein Pilzsammelprojekt ins Leben zu rufen. Hervorragende Pfifferlinge hatte er schon auf dem Markt gekauft und wollte noch ihre Transportfähigkeit testen.
Unser Hotel am Ufer des Tanganyka Sees füllte sich langsam mit deutschen Globetrottern. Wie sich herausstellte, waren alle der Empfehlung des gleichen Reiseführers gefolgt. Sabine und Margarete waren mit dem Schiff aus Sambia gekommen, wo wir anderen alle hinwollten. Wir waren fünf Reisegruppen. Die meisten hatten aber nur zwei Teilnehmer. Nur eine Reisegruppe bestand aus einem Arzt aus Stuttgart, der hier in den Tropen ein Tropenpraktikum absolvieren wollte. Die Nerven dafür hatte er. Wir diskutierten die Möglichkeiten unserer Weiterreise. Unser Ziel im Süden, die Kalambo Falls, auf der Grenze zwischen Tansania und Sambia, konnten wir von zwei Orten aus erreichen. Die besseren Verbindung gab es von Mpulungu in Sambia aus. Der Nachteil hier war, daß wir für Sambia kein Visum hatten und dann wahrscheinlich noch einmal ein Visum für die Wiedereinreise nach Tansania benötigen würden. Von dort gab es aber eine ordentliche Verbindung nach Tunduma, der Bahnstation der Ta-sa-re, die uns sicher nach Dar Es Salam bringen würde. Die andere Möglichkeit, wir steigen in Bismarksburg aus, in der Landessprache Kasanga und fahren mit einem Boot zu den Fällen, was aber sehr ungewiß ist, ob diese Fahrt für uns jemand übernimmt. Die Weiterreise nach Sumbawanga, ca. 150 km entfernt war auch sehr ungewiß. Es gab keine Verbindung. Ab Sumbawanga fuhr der Bus bis Tunduma. Aber wie kommen wir über die 150 km? Der Vorteil, keine Ein- und Ausreiseformalitäten und damit keine zusätzlichen Kosten. Wir entschieden und für die billigere Variante.