An Bord der Mwongozo

Beladen wie die Sklaven mit all unseren Habseligkeiten, marschierten wir durch das Tor des Hotels zu unserer Fähre. Am Hafen herrschte schon großes Gedränge, denn die Passagiere der Dritten Klasse hatte ihre Sitzplätze nicht vorbestellt und mußten somit zeitig da sein um einigermaßen sitzen zu können.
Wir zwängten uns durch die Massen und standen dann vor dem Gang zu unseren Kabinen, aus dem es fürchterlich nach Fisch stank. Irgendwer hatte hier seine zum Verkauf bestimmten Sardinen gelagert. Der Stuart, der die Schlüssel für die Kabinen hatte, war natürlich nirgends zu sehen und Unmut verbreitete sich unter den Weißen der Ersten Klasse. Wir warteten wieder einmal. Von der Reling aus hatten wir einen hervorragenden Überblick über das Geschehen am Kai. Unablässig strömten die Afrikaner in das Schiff. Beladen mit Bündeln und mit Nahrungsmitteln. Mir war unklar, wo die alle Platz finden wollten. Einige schienen illegal an Bord zu kommen, denn sie verschwanden in Windeseile in einer Öffnung im Schiff ohne ihr Ticket irgendwem zu zeigen. Die Fähre wird so sicher um ein Vielfaches überladen und sinkt dann! Oder?
Da erschienen auch unsere neuen Bekannten, die vor vier Tagen hier an Land gegangen waren. Sie zückten den Fotoapparat und hielten diese unvergessenen Augenblicke für die Nachwelt fest. Wir hatten den beiden Mädels, Margarete aus Berlin und Sabine aus Freiburg, unsere Adressen gegeben und hofften, einmal diese Fotos auch zu sehen.
Doch auch in Afrika ist der Vorgang des Verladens einmal beendet und das Schiff ließ sein Horn ertönen, man warf die Leinen los und die M.V. Mwongozo schob ihren Bug in den Tanganykasee.
In unserer Kabine der Ersten Klasse, ca. 8 m2 groß mit einem Doppelstockbett und einem Stuhl, verteilten wir unser Gepäck so gut es ging und genehmigten uns einen Ablegeschluck. Die Betten waren nicht die neuesten, aber das Schiff auch nicht. Andreas ging auf die Suche nach dem Stuart, weil der das Bettzeug noch nicht geliefert hatte. Da wir nicht wußten, ob die Beleuchtung funktionierte, war es besser, sich im Hellen einzurichten.
Nachdem dies alles geschehen war, verschlossen wir unsere Kabine und erkundeten das Schiff. Gleich neben dem Ausgang unseres Kabinenganges war der Niedergang zum obersten Deck. In Europa wäre es sicher das Sonnendeck gewesen, aber davon gibt es hier reichlich, so daß es ein schattiges Panoramadeck war. Zugang hatten nur die Passagiere der ersten und der zweiten Klasse. Für die Hunderte der dritten Klasse war kein Platz. Mehrere, parallel zur Schiffslängsachse aufgestellte Bankreihen boten reichlich Platz zur Besichtigung des Wassers. Mehr war, zumindest auf der Steuerbordseite, nicht zu sehen. Backbord zog, Meile um Meile die tansanische Küste vorbei. Aus unsere Perspektive waren nur hohe, grüne Berge zu sehen. Die Höhe des Kammes variierte zwar gering, sie war beeindruckend. Bei ganz klarer Sicht konnte man an Steuerbord einen schmalen Streifen Land erahnen – die Berge des Kongo. Über denen tobten sich in einer Regelmäßigkeit des Abends Gewitter aus, so daß es fast wie Schlachtgetümmel wirkte. Andere Schiffe oder Boote waren nicht zu sehen. Wir schienen die Einzigen auf dieser riesigen Wasserfläche, die an Ihrer breitesten Stelle 72 km mißt und fast 700 km lang ist.


Lake Tanganyka





Ich suchte die Bierquelle.  Der Verkauf erfolgte am Eingang zur Messe. Die hier erkennbaren Vorräte beunruhigten mich sehr. Wir hatten noch reichlich dreißig Stunden auf dem Schiff zuzubringen und bei der Kaufwut waren sie sicherlich in der nächsten Stunde erschöpft. Ich hoffte sehr, daß in den unerforschlichen Tiefen des Rumpfes noch einige Kästen lagerten.
Wir waren zwei Stunden unterwegs, als der Bug zum Ufer gewendet wurde. Wir näherten und einem Dorf. Die Fahrt wurde verlangsamt und ein langer Signalton verkündete den Bewohnern, daß das Schiff anhalten würde. Am Ufer entstand sofort Bewegung. Alle Boote füllten sich mit Menschen und wurden in Bewegung gesetzt. Diese Armada bestand aus recht unterschiedlichen Wasserfahrzeugen. Da gab es den Einbaum, welcher oft nur mit einem Ruderer besetzt war. Ständig  unterbrach er seine Arbeit zur Fortbewegung seines und schöpfte mit einer abgeschnittenen Plasteflasche das Wasser,  welches in das Boote gelaufen war. Dann ruderte sofort weiter, denn wer zuerst am Schiff ankam hatte die besten Chancen eine lukrative Ladung zu übernehmen. Etwas größere Ruderboote waren mit meist mit drei Personen besetzt. Diese konnten sich die Arbeit besser verteilen. Während einer sich um die Fortbewegung kümmerte, der zweite mit Schöpfen beschäftigt war, gab der dritte die Richtung an. Auf den großen Booten, die mit einem Außenbordmotor bewegt wurden, gab es auch den Posten des Schöpfers. Waren die kleineren Boote als erste vom Ufer losgekommen, sie benötigten weniger Zeit zur Vorbereitung, wurden sie doch bald von den anderen eingeholt. Fast zur gleichen Zeit kam die Armada am Schiff an. Nun  entbrannte ein heftiger Streit um den besten Liegeplatz.  Die Bootsführer schoben ihre Boote ohne Rücksicht auf Verluste an die große Luken welche Mitschiffs, sowohl Steuerbord als auch Bachbord, geöffnet wurden. Da deren Unterkante  einen Meter über dem Wasserspiegel waren, hatten die kleineren Boote schlechte Aussichten hier ein Geschäft zu machen. Schließlich lagen sie in der zweiten Reihe an einem größeren und verhandelten um so lauter mit den Landungswilligen auf dem Schiff über eine Passage.


Kanufahrer auf dem Lake Tanganyka

Die Wasserfläche wurde zum Marktplatz. Alle Boote hatten Erzeugnisse an Bord die an die Passagiere verkauft werden sollten. Meist Nahrungsmittel zum Sofortverzehr. Halbe Ziegen, ganze Fische und viel Obst wechselte hier den Besitzer. Wahrscheinlich die einzige Möglichkeit der Dorfbewohner zu Geld zu kommen. Die Hauptgeldquelle ist die getrocknete afrikanische Sardine, die Dagaa. Sie wurde, in riesige Säcke verpackt, im Schiff verstaut und im nächsten Hafen verkauft. Von dort wird sie über das ganze Land verteilt und erfreut sich unter der Bevölkerung einer großen Beliebtheit.
Einige Dorfbewohner kamen mit dem Schiff von der Dienstreise zurück. Sie hatten für eigene und fremde Rechnung verkauft und gekauft. Das Schiff unterhielt die einzige Verbindung zur Zivilisation und alle Dinge die man nicht selber herstellen kann, muß man mit dem Schiff antransportieren. Da muß man genau überlegen, was man alles für die nächste Zeit benötigt. Die arme Hausfrau, die vergessen hat die Tüte Salz zu kaufen!
All diese Vorgänge liefen unter großem Geschrei und viel Hektik ab. Für uns als interessierte Betrachter waren die wenigsten Abläufe verständlich. Doch da regt sich schon wieder der Europäer, der alles geordnet und geplant hätte. Doch wozu? Die Afrikaner einigten sich auch ohne geordneten Ablauf. Schließlich ließ der Dampfer wieder sein Horn erschallen, Zeit zum Weiterfahren. Mit doppelter Geschwindigkeit wurden nun die letzten Geschäfte getätigt. Das Schiff fuhr schon, und einige Eingeborene aus dem Dorf waren noch an Bord. Sie konnten nur mit einem Sprung vom Schiff ihr Boot wieder erreichen. Auf solche Kleinigkeiten nahm der Kapitän keine Rücksicht. Er  hatte schließlich einen Fahrplan und in dem steht, daß er Stopps von dieser Art noch 15 Stück vor sich hat und dennoch am Freitag 8:00 a.m.  in Mpulungu in Sambia sein muß.
Nach dem diese Aufregung vorüber war, machte sich der Magen bemerkbar. Wir stiegen von unserem luftigen Deck in die Niederungen der Messe und besetzten den einzigen noch freien Tisch. Rings umher lärmten die Afrikaner oder schauten dem Video zu. Alle tranken Bier und hob die Stimmung beträchtlich. Nach einer geraumen Weile ließ sich ein Stuart blicken und nahm unsere Bestellungen entgegen. Wir hatten die Wahl, wie konnte es anders sein, zwischen chicken or beef and rice or chips. Ugali bot er auch an, aber der wurde, aus unerfindlichen Gründen nicht serviert. Das Essen war mäßig, aber es gab keine Alternative. Die Atmosphäre lud auch nicht zum Verweilen ein und so eilten wir bald zurück zu unserem Schattendeck.
Hier hatten die Passagiere der dritten Klasse inzwischen alle Sitzgelegenheiten besetzt und für unsere Bequemlichkeit sah es schlecht aus. Doch es nahte Hilfe in Form einer Razzia. Die Sicherheitsverantwortlichen des Schiffes checkten alle auf dem Deck, ob sie auch die Berechtigung besäßen hier zu sitzen. Im Nu waren wir mit den Passagieren der zweiten Klasse wieder allein. Aber nicht lange, dann kletterten die Kellerkinder über das Heck wieder nach oben.
Wir beobachten noch etwas die Dunkelheit und die Gewitter über den Bergen des Kongo und gingen anschließend zu unserer Kabine. Dies war nicht ganz einfach, weil der Gang voller Afrikaner war, die hier wahrscheinlich besser schlafen konnten als im stickigen Schiffsrumpf. Sie lagen kreuz und quer im Gang und uns blieb nichts anderes übrig, als über sie hinweg zu steigen.  Die Luft in unserer Kabine, es gab nur ein winziges bulleye, war nicht viel besser. Hoffend, die Moskitos würden dem Schiff auf de Wasser fern bleiben, ließen wir es offen. Die Kojen waren schon etwas durchgelegen, aber für anderthalb Nächte konnte man es aushalten.
Wir hatten in der Nacht die Mahale Mountains, eine Küste ohne Dörfer, umschifft und steuerten weiter gen Süden, der nächsten Ortschaft entgegen. Der Himmel war strahlend Blau als wir erwachten und vor uns das Problem der Morgentoilette stand. Am Heck, auf dem Deck wo unsere Kabinen waren, befanden sich zwei gußeiserne Wasserauffangbecken, über denen ein Hahn ständig Wasser abgab. Beide waren von Afrikanern dicht umlagert. Da aber, auf Grund der fehlenden Intimität des Schiffsdecks, an eine Ganzwaschung nicht zu denken war, rückte wir in der Warteschlange rasch vor. Wir paßten uns den Gepflogenheiten an und spritzten uns etwas Wasser ins Gesicht und wuschen uns die Hände. Fertig. Vielleicht noch einmal Zähne putzen, ich verschob dies aber nach das Frühstück. Der Toilettenbesuch war mit mehr Schwierigkeiten verbunden. Auch hier lief ständig das Wasser und alles war, vorsichtig formuliert, sehr feucht. Ich zog die Hosen ganz aus, so erhielt ich mir ihren Zustand. Das Papier war mitzubringen, hier gab es keines. Nun, ich mußte diesen unerfreulichen Ort selten aufsuchen!
Aus der back duftete es nach frischen afrikanischen Brötchen, ich ließ mir ein paar schenken und konnte so dem Magen etwas festes anbieten. So wurde der Morgenschnaps gleich aufgesaugt und brannte nicht so in dem leeren Magen. Das anschließende Frühstück mit Ei nach Wahl, Marmelade und Tee oder Kaffee, alles nicht im Preis inbegriffen, komplettierte unseren ersten Eindruck von der Qualität der Bordküche.
Wir saßen dann auf dem Schattendeck, holten abwechselnd Bier und plauderten mit den anderen Reisegruppen. Am lustigsten war es mit den arbeitslosen Lehrern aus Essen. Sie waren nach Nairobi geflogen und waren von da mit dem Bus über Mwanza nach Kigoma gereist. Sie zogen die Schiffsreise trotz aller Unannehmlichkeiten vor. Sie hatten, da es ihnen in der Kabine zu stickig war, die Nacht auf Deck verbracht. Hier ließ es sich viel besser schlafen. Allerdings mußte man hier die Taschendiebe in Kauf nehmen. Sie hatten unseren Bekannten alle ausgeleert! Es sind halt, im Verhältnis, alles arme Schlucker, mit wenig Möglichkeiten zum Geld verdienen. Diese Form der Spende erreicht die Betroffenen tatsächlich; nur können wir sie nicht von der Steuer absetzen!
Die Nacht zum Freitag wurde sehr kurz. Gegen 4:00 erreichten wir Kasanga, das frühere Bismarksburg. Die Grundmauern dieses großen Forts das der Verteidigung der deutschen Interessen gegen die Engländer und Belgier diente, kann man noch heute auf der Landzunge oberhalb des Kais von Kasanga finden. Doch mehr haben die deutschen Kolonisatoren an dieser Stelle nicht hinterlassen. Keine Straße und kein elektrisches Kabel verbindet Kasanga mit dem Rest der Welt. Sieht man von dem betonierten Anlegeplatz einmal ab, so findet man nur schwer einen ähnlich trostlosen Ort, irgendwo.