Im Selous Game Reserve

>Umgebung von Mbeya<

Die Waggons und ihre Abteile hatten nichts von denen der Central Line. Diese Strecke der Ta-Za-Ra (Tansania-Zambia-Railways) wurde vor ca. 30 Jahren von den Chinesen gebaut und diesen Standart hat sie und ihr rolling stock auch noch heute. Wir hatten uns für den ordinary train entschieden, der zwar keine 1. Klasse Waggons mit sich führt, dafür aber am Tage durch das wildreiche Selous Game Reserve fährt. Somit war immerhin die Möglichkeit für eine sichtbare Begegnung mit den Tieren nicht ausgeschlossen. Vor uns lagen ca. 24 h Zugfahrt und 700 km Gleise. In dem Abteil zweiter Klasse konnten wir es uns nicht sehr gemütlich machen, gab es doch hier 4 Schlafstellen. Die Hoffnung, vielleicht doch allein zu reisen, erfüllte sich nicht. Wir hätten alle vier Plätze bezahlen müssen, um ungestört zu sein. Doch wer will schon den doppelten Fahrpreis bezahlen?

Unser Abteil füllte sich und kurz bevor der Zug, sehr pünktlich, losfuhr, waren wir komplett. Das heißt, eigentlich mehr als das. Den Afrikanern geht das Fremdtun völlig ab. Sie sitzen lieber mit mehreren zusammen und schwatzen über Gott und die Welt. So waren wir also sechs, manchmal auch sieben Leute in dieser kleinen Kammer. Daß da das Fenster bis zum Anschlag heruntergelassen wurde, verstand sich von selbst. Das eine obere Bett war mit Waren völlig eingedeckt, sie mußten Nachts nicht schlafen. Jedenfalls nicht unbedingt im Zug. Das konnte ja heiter werden!

>Bahnstrecke durch das Hochland<

Mir war weder nach heiter, noch nach Geselligkeit, ich fühlte das Fieber in mir aufsteigen. Ein Glück, daß ich mich 24 h im Zug ausruhen konnte und nicht der Sonne ausgesetzt war. Das offene Fenster mit dem ständigen Luftzug war zwar nicht unbedingt die Umgebung für eine Krankenstation, aber besser als auf einem Fahrzeug sitzen oder in die Berge steigen. So schloß ich die Augen und ließ die Afrikaner samt Afrika in ihrer Welt. Ich griff, wie stets in einem solchen Fall auf das bei meiner Therapie, bewährte Tigerbalsam zurück und harrte seiner heilenden Wirkung. So rauschte der Abend und auch die anschließende Nacht ohne Eindrücke zu hinterlassen an mir vorbei. Gab es Abendbrot? Was? Wo? Bekamen wir ein Bier? Keine Ahnung. Das Fieber hat in mir jegliche Erinnerung an diese Nacht im Zug gelöscht. Schlief ich tief und fest oder wurde ich, schweißgebadet wach? (Bei den Temperaturen wäre dies sicher nicht zu verwundern gewesen.) Ich erwachte bewußt erst am Morgen und fühlte mich besser. Nicht geheilt, aber besser. Die vietnamesische Heilkunde hatte mich wieder einmal gerettet.

Wir warteten auf den nächsten Halt und holten uns unser Frühstück, Teigtaschen mit Fleischfüllung und Obst, von den fliegenden Händlern auf dem Bahnsteig. Auf dieser Strecke war der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in einem weit höheren Maße, vielleicht lag es auch daran, daß wir nach Dar fuhren, entwickelt, als auf der Central Line. Gibt es in Deutschland das Autokino, oder das Weltweit agierende Restaurant für Autofahrer einer bestimmten Kette, so gibt es hier in Tansania das "Rail und Buy". Hier wurden keine Reisebedarfsmittel gekauft, hier wurden Vorräte eingehandelt. Im Wesentlichen Tomaten und Kartoffeln, aber auch anderes Gemüse und Obst wurde in den Abteils verstaut. Und wie wählerisch die Schwarzen sind! Ich hätt es nicht geglaubt. Dazu in einer Weise herablassend, ja ich möchte sagen fast schon arrogant, uns war es etwas peinlich. Bei der Beobachtung der Vertragsabschlüsse kam mir der gute Spruch wieder in den Sinn: "Die schlimmsten Weißen sind die Schwarzen." Die Klassenunterschiede zwischen der Landbevölkerung und den Zugfahrern müssen gewaltig sein. Zugegeben, nicht bei allen. Aber die Handelspartner, welche wie wir die zweite Klasse benutzten, gehörten mit Sicherheit zur upper classes von Tansania. Nun, es war nicht unser Problem. Welch Glück.

Die mit uns im Abteil reisenden gehörten auch nicht zu dieser Schicht. Wir hatten einen pensionierten Lockführer aus Mbeya, der seinen Sohn in Dar Es Salam besuchte und einen Stationsvorsteher einer Station im Selous Game Reserve. Zu diesen beiden gesellten sich, wir durchschauten das System nicht, noch zwei bis drei "Bekannte". Sicher mit Fahrkarte aber ohne Berechtigung für die zweite Klasse. Ihre Einkäufe blockierten ein oberes Bett, in dem andren lag ich, so daß es unten recht eng zu ging. Dennoch einigten wir uns und hatten keine Probleme miteinander. Ich hatte auch nie den Eindruck, daß wir in besonderem Maße auf unser Gepäck achten mußten. Wir hatten alle recht wenig, daß wir verlieren hätten können. Die Papiere, die uns die Möglichkeit der Aus- und Weiterreise boten und die Zahlungsmittel hatten wir sowieso am Mann.

Ich fühlte mich noch sehr matt und war deshalb wieder nach oben auf mein Bett gestiegen. Ich hielt meist die Augen geschlossen um den Schlaf zu suchen. Hin und wieder fand ich ihn und verbrachte den Vormittag halb schlafend und halb wachend.
 
 

> Selous Game Reserve<

Draußen zog eine wenig abwechslungsreiche Landschaft vorbei. Die selten von Dörfern und Feldern unterbrochen wurde. Gegen Mittag wurde der Ausblick zunehmend grüner. Wälder streckten sich bis zum Horizont, die Graslandschaft und Buschwerk unterbrochen wurden. Nach kurzer Zeit äste friedlich neben dem Bahndamm eine Gazellenherde. Sie hatte sich in den dreißig Jahren an das schnaufende Ungetüm gewöhnt, daß sie sich von seiner Vorüberfahrt nicht stören ließen. Von ihm ging keine Gefahr aus. Wir waren im Selous Game Reserve. Unsere Mitreisenden interessierte der Anblick der Tiere wenig. Aber Andreas‘ Aufmerksamkeit galt nun der Beobachtung der vorüber gleitenden Natur. Wir fuhren hier merkwürdigerweise relativ schnell. Vielleicht bildete ich mir dies auch nur ein, weil wir jetzt bestrebt waren die Umgebung zu erkennen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls rasten wir an verschiedenen wilden Tieren vorbei. Wir sahen Affen, die allerdings ihre Tätigkeit unterbrachen um den Zug nachzusehen, eine Warzenschweinfamilie kämpfte sich voller Ignoranz durch das Unterholz und in der Ferne tauchten für kurze Zeit einmal fünf Giraffen auf. Doch die schon erwähnten Gazellen machten hier die Masse der vom Zug zu beobachtenden Tierarten aus. Die erste Euphorie des Jägers legte sich mit der Zeit. "Tempo" dieser Ruf weckte alle aus ihrer Lethargie. Andreas hatte mit seinem Ruf alle auf die kleine Elefantenherde aufmerksam gemacht, welche unweit des Schienenstranges Ihre Mittagsmahlzeit einnahm. Dieses Ereignis interessierte auch unsere Reisegefährten. So häufig fuhren auch sie mit dem Zug nicht an Elefanten vorbei. Doch im Nu waren sie am Horizont verschwunden und die Aufregung legte sich wieder.

Kurz darauf näherte sich der Zug jener Station, der unser Eisenbahner vorstand. Er suchte unter den Gepäckbergen seines heraus und stellte es in der Nähe der Türe zum Aussteigen bereit. Er hatte einen vierwöchigen Weiterbildungslehrgang besucht und entsprechend in der großen Welt all die Dinge eingekauft, welche man hier in Einsamkeit der Natur, sehr fern von jeglicher Zivilisation und derer Einkaufsmöglichkeiten, nicht zu kaufen bekommt. Entsprechend zahlreich waren seine Gepäckstücke. Der Zug hielt. Zu unserer Verwunderung standen 8 Weiße im Safarilook wartend auf dem Bahnsteig. Hier, inmitten von Nichts weiße Menschen? Bisher hatte sich der Fahrgastwechsel ausschließlich auf Afrikaner beschränkt. Und nun Abenteurer von einem anderen Kontinent. Ihr geringes Gepäck deutete darauf hin, daß sie nur einen kurzen Ausflug in die Wildnis unternommen hatten und jetzt die Flucht in die Zivilisation antraten.

Auf dem Bahnsteig wurde der Stationsvorsteher von seiner Familie und seinen Angestellten sehr freudig begrüßt. Alle halfen beim Ausladen und Wegschaffen des Gepäcks. Die Station bestand aus einem flachen Holzgebäude, welches kaum geeignet erschien einem kräftigen Gewitter zu trotzen. Aber noch stand es und beherbergte eine große Familie. Die Lokomotive ließ ihren Pfiff ertönen und schnell verschwand dieser kleine Teil der großen Welt in der Ferne.

Wir schlachteten eine Ananas. Sie bildete unser Mittagsmahl. Die Reste boten wir unseren Abteilgenossen an. Die revanchierten sich mit einigen sambusas. Diese tansanische Variante der indischen Samosa, eine fritierte Teigtasche mit Füllung aus Fleisch oder Gemüse, hatten sie auf einer der letzten Stationen gekauft. So wurde es doch noch ein abwechslungsreiches, nahrhaftes Mittagessen. Ich war immer noch sehr schlapp und so stieg ich wieder nach oben und döste ich weiter auf meinem Lager vor mich hin.

>Die Strecke nach Dar Es Salam<

Ich erwachte von einer Unruhe die im Waggon ausgebrochen war. Wir näherten uns Dar Es Salam. Der Bahnsteig war voller Menschen. Ich hatte den Eindruck, draußen waren mehr als drinnen. Da der Zug hier endete, stellten sie alle individuelle Empfangskomitees dar. Dachte ich. Aber irren ist menschlich. Denn auch wir wurden erwartet! Sicher waren auch einige Verwandte unter den Wartenden, aber die andern waren alles Taxifahrer und deren Schlepper, Träger und guides. Wir hatten den Fuß noch nicht auf dem Bahnsteig, da streckten sich schon 20 Hände nach unseren Rucksäcken und 10 Mann boten alle Dienste an, die wir unbedingt notwendig hätten. Unbekümmert stapften wir durch die uns umringende Traube zielsicher auf den Ausgang zu. Diese Methode funktioniert immer. Auf diese Weise schüttelt man 95 % der Eifrigen ab und nur die härtesten bleiben einem treu. So auch diesmal. Vor dem Bahnhof hatten wir nur noch einen Taxifahrer und seinen Helfer an den Hacken.

Nach diesem Rummel auf dem Bahnsteig wurde mir bewußt, daß wir wieder mitten in der Zivilisation waren. Da fiel mir sofort unsere Pleite mit dem stornierten Herflug ein und ich wollte eine Rückflugbestätigung. Die Telefonnummer unserer Fluggesellschaft in Dar hatten wir, fehlte nur noch ein Telefon. Das konnte doch auf einem Bahnhof kein Problem sein. Mit Hilfe des Taxifahrers fanden wir schließlich die einzige Telefonzelle. Sie war zwar keine, sondern nur ein Gerät an der Wand, aber immerhin. Allerdings benötigte man eine Telefonkarte. Wir klapperten alle Schalter und shops auf dem Bahnhof ab. Vergebens. Wir bekamen hier keine zu kaufen. Wir mußten uns in unser Schicksal ergeben und weiterhin optimistisch sein.

Der Preis mit dem Taxifahrer war bald ausgehandelt und so stiegen wir kurz darauf vor dem uns von unserem Freund Oliver empfohlenen Hotel Continental aus. Andreas sah sich das Zimmer an und für 12 $ die Nacht mit Frühstück, mieteten wir ein Doppelzimmer mit Dusche und Toilette. Wir mußten sofort bezahlen, aber sie konnte nicht wechseln. Wir vertrösteten sie auf später. Das Zimmer war wirklich o.k. bis auf die Himmelsrichtung. Auf diesen Breitengraden sollte man ein Fenster bevorzugen, welches nach Süden liegt. Unseres lag nach Nordwest uns so stand auf ihm den gesamten Nachmittag die Sonne. Die Temperatur im Raum schwankte zwischen 28oC bei Sonnenaufgang und 35oC bei Sonnenuntergang. Es gab nichts, was wir dagegen unternehmen konnten. Es half auch keine ausgiebige Dusche. Danach fiel ich ermattet auf mein Bett und pflegte noch etwas meine Krankheit.

Andreas zog voller Tatendrang los unsere Weiterreise nach Mafia Island zu organisieren. Ich erwachte erst, als Andreas zurückkam. Er war am Hafen gewesen und hatte sich dort nach einer regulären Verbindung zur Insel erkundigt. Die "Canadian Spirit" sollte eigentlich über Kilidoni die Verbindung nach Mtwara herstellen. Doch lag schon vor einem Jahr am Ufer zur Reparatur. Keine der im Hafen vertretenen Agenturen bot auch nur die Möglichkeit


>Katholische Kirche in Dar Es Salam, erbaut 1895<

einer Verbindung an. Nicht von hier und auch nicht von Sansibar. Die Insel schien nur durch Flugzeuge erreichbar zu sein. Diese 200 $ wollten wir nicht ausgeben. Der Zufall drängte Andreas in die Hände eines Reisebüros ohne Büro. Die beiden hatten ein Schiff, welches am nächsten Tag nach Mafia Island fuhr. Es lag, gut sichtbar auf der Rede vor Dar. 30.000 Tsh wären sofort anzuzahlen gewesen, wenn der deal dicht sein sollte. Andreas vertagte die Entscheidung, da er kein Geld dabei hätte. Sie verabredeten sich für den nächsten Tag 11:00 a.m.

Mit diesen guten Nachrichten von der Möglichkeit einer Passage ging es mir gleich besser. Ich zog mich an und wir machten in der anbrechenden Dunkelheit einen kleinen Spaziergang auf der Suche nach einem Lokal für das Abendessen. Ohne Erfolg. Wir fanden kein Lokal, welches unser Vertrauen erwarb. Die Speisekarte im Continental bot uns eine reichhaltige Auswahl und hier am Meer ist Fisch immer zu empfehlen. Wir bestellten und warteten in dem überdachten Vorgarten bei einem Bier auf unser Essen. Drei Tische standen hier und man saß auf gepolsterten Bänken, quer zur Straße. Von der waren wir optisch durch Pflanzen getrennt, so daß wir zwar den Vorteil des Sitzens im Freien genießen konnten, aber von den Vorübergehenden nicht wahrgenommen wurden. Am Nebentisch hatten sich vier Mädchen niedergelassen, die vorsichtig an ihrer Limonade nippten und sich temperamentvoll unterhielten. Ob das die waren, von denen unsere Freund Oliver erzählt hatte, daß er sich mit ihnen so prächtig unterhalten hätte?

Unser Essen war fertig und so verschoben wir die Klärung dieser Frage. Der Fisch schmeckte ausgezeichnet. Als Beilage hatten wir Reis und dazu gab es Salat. Salat in den Tropen. Ganze Romane hatten uns davor gewarnt. Alle Krankheiten Afrikas und der restlichen Zivilisierten Welt könnten wir mit dem Verzehr desselben bekommen. Wir bekamen sie nicht. Nicht sofort und auch nicht später.

Wir setzten uns wieder nach draußen und genossen die Tropennacht. Die Stunde der Dämmerung war vorüber und so mußten wir unser Moskito vertreibendes Mittel nicht wieder auftragen. Die Mädchen hatten noch mit sich zu tun doch unser Erscheinen veranlaßte sie, unsere neugierigen Blicke zu erwidern. Wir gaben ein Bier aus und versuchten ein Gespräch. Unsere spärlichen sprachlichen Möglichkeiten reichten aber nicht aus, irgend eine Verständigung herbeizuführen. Schade. Sie tranken das Bier, machten schöne Augen und sagten "yes". Mir kam das sehr bekannt vor. Ob Oliver andere getroffen hatte? Oder hatte er die prächtige Unterhaltung anders gemeint?

Während wir saßen und angeregt plauderten hielten in unregelmäßigen Abständen Fahrzeuge vor dem Hotel und ihnen entstiegen Inder jeglichen Alters, die im Hotelrestaurant verschwanden. Ihnen folgten wunderschön herausgeputzte indische Mädchen. Doch drinnen war niemand. Andreas wollte der Sache auf den Grund gehen und verschwand auch im Restaurant. Er kam nicht zurück. Hatte er einen Gesprächspartner gefunden? Oder war er den Indern zu aufdringlich geworden?