Ujiji

Am Samstag fuhren wir nach Ujiji. Der Ort liegt 6 km südlich von Kigoma, ebenfalls am Tanganjikasee. Hier war über Jahrhunderte der Ausgangspunkt der Karawanenstraße zum Indischen Ozean, nach Bagamoyo. Wie lange die Karawanen für diesen 1200 km langen Fußmarsch benötigten, weiß ich nicht. Aber vor wenigen Jahren unternahmen Touristen diesen Marsch und waren 10 Wochen unterwegs.
Wir gingen zur Dalla Dalla - Station und wurden sofort von den Schaffnern der Fahrzeuge überfallen. Jeder wollte uns in seinen Minibus zerren, egal wohin wir wollten. Als wir unser Ziel nannten, lichtete sich der Haufen und bald saßen wir im Dalla Dalla nach Ujiji. Die Plätze füllten sich, der Schaffner rief immer wieder sein Fahrziel aus und alle warteten darauf, das der letzte Platz belegt werde. Vorher wurde auf keinen Fall losgefahren. Feste Abfahrtszeiten gab es nicht. Nur die Überfüllung bestimmte den Beginn der Fahrt, weil der Schaffner und der Fahrer am Umsatz beteiligt sind.
Die Fahrt führte wieder den Berg hinauf in Richtung Markt, an diesem vorbei und dann noch einige Kilometer über befestigte Straßen, bis wir schließlich bald die ersten Häuser von Ujiji erreichten.
Die Fahrt war durch einen permanenten Fahrgastwechsel ständig unterbrochen. Es gab zwar keine Haltestellen, aber überall, wo sich ein Mensch in der Nähe der Straße zeigte, wurde gehupt und erwartungsvoll auf seine positive Reaktion gehofft. Schaute er nur einmal kurz zum Fahrer, setzte der sofort die Bremsen in Funktion und der neue Mitfahrer mußte zusehen, wo er ein paar Quadratzentimeter zum Stehen oder zum Sitzen fand. Noch bevor dies geschehen war, fuhr der Kleinbus wieder weiter. Der Kassierer hatte einen schweren Job, erst mußte er sehen, wo er die Fahrgäste her bekam und dann mußte er von ihnen das Geld eintreiben. Keiner gab es ihm freiwillig. Wenn er begann mit den Münzen in seiner Hand zu klappern, schaute jeder demonstrativ weg. Wurde das Geräusch in seine Richtung aber zu deutlich, wurde dem Kassierer ein Geldstück, auch unter Zuhilfenahme der anderen Fahrgäste, gereicht. Oft war der Vorgang der Bezahlung damit abgeschlossen. Aber es kam schon vor, daß das Klappern noch einmal in die gleiche Richtung ertönte. Der Wert war zu klein gewesen! Aber auch Wechselgeld kam auf dem gleichen Weg zurück, wenn nicht immer sofort, aber es kam.
Ujiji, der Ort wo der erste aktive Gegner der Sklaverei, David Livingstone, lange Jahre wirkte und für den alten Kontinent als verschollen galt, und hier vor reichlich 100 Jahren vom Journalisten Henry Morton Stanley für die Welt wieder gefunden wurde, beeindruckte durch seine flächenmäßige Ausdehnung. Wir folgten den wegweisenden Schildern und standen bald vor Livingstone‘s Haus. Der Eintritt schien kostenlos zu sein. So schlossen wir uns schnell drei Afrikanern an, die dem Museumswächter folgten. Wir wurden zu einem riesigen Mangobaum geführt, der ein direkter Nachfahre des Baumes war, unter dem Stanley auf Livingstone traf. In einer Art englischem Sprechgesang schilderte uns der Wärter des Museums die damaligen näheren Umstände des historischen Treffens, sowie den kompletten Lebenslauf des Forschers. Für die afrikanischen Besucher erfolgte die Ansprache im gleichen Tonfall, aber in Kisuaheli. Im Inneren des Hauses war die Begegnung in mehreren Varianten in Öl und in Pappmache festgehalten. Nach diesen Darstellungen, muß damals der See bis an das Haus gegangen sein, weil er die Stufen benetzte, die zum Haus führten. (Wir haben von hier aus vom See nichts gesehen.) Jetzt kam auch das Gästebuch zum Tragen, der Kugelschreiber mußte als Souvenir hier bleiben und dafür sollte uns doch ein Geschenk an das Museum, ohne Quittung, von 2000 Tsh. Nicht zu hoch erscheinen. Oder? Was macht man? Man zahlt. Wer weiß, wieviel von diesen Einnahmen tatsächlich das Museum erhalten? Aber ohne seinen Wärter, der wahrscheinlich kein Gehalt erhält, wäre es sicher dem Verfall preisgegeben.
Zum See waren es sicher 5 Höhenmeter. Wir schleppten uns in der Hitze des Tages diese 500 m und standen am Ufer einer riesigen Bucht. Ein flacher Sandstrand machte das Landen von Schiffen europäischer Bauart unmöglich, aber hier wurden afrikanische Schiffe gebaut und zum fernen Kongo verabschiedet. Bestimmt hatten die Araber, welche diesen frühen Stützpunkt der Zivilisation betrieben, auch einiges nautisches Wissen beigesteuert.
Ein großer Teil des Lebens der Bewohner von Ujiji spielte sich heute, wie auch schon vor 100 und vor 1000 Jahren am Seeufer ab. Man wusch sich oder half seinen Kindern dabei, die Frauen nahmen das Wasser als Trinkwasser mit nach hause, man besprach die Ereignisse des Tages und man war emsig mit Handlungen beschäftigt, die uns Europäern wohl für immer geheimnisvoll erscheinen werden.
Wir schauten dem munteren Treiben eine Weile zu, dann suchten wir nach der Teestube, die sicher irgendwo sein mußte. Unweit des Ufers waren vier Pfähle in den Boden gerammt, mit einigen Brettern verbunden und fertig war das Restaurant. Gegen die Sonne war das Dach mit Blättern bedeckt. Das Mobiliar war vor Ort handmade. Alles original und benutzbar. Wir bestellten, zur allgemeinen Verwunderung „chai yai rangi, bila sukari“. Da das Wasser, ich nehme an, sie nahmen es aus dem See, erst zum Kochen gebracht werden mußte, warf unsere Bestellung keine größeren Probleme auf. Durch eine Öffnung gelangte man in die Küche, in der schon die Vorbereitungen für die nächste größere Mahlzeit liefen. Es sollte, wie am See nicht anders zu erarten, Fisch geben. Bereitwillig ließ man mich in die Töpfe schauen, aber solchen Fisch hatte ich noch nicht gesehen. Es sah alles vertrauenerweckend aus, aber unser Sinn stand noch nicht nach Essen.
Zurück zur Dalla-Dalla-Station verließen wir die Hauptstraße, auf der wir gekommen waren und gingen etwas weiter südlich durch Ujiji. Mit großen Abstand waren hier die Hütten errichtet und, wäre man in Europa, man konnte sagen, es war alles sehr großzügig angelegt. Wir gelangten zu einem Marktplatz, der bei Weitem nicht so groß war wie in Kigoma, aber auch hier wurden die Feld- und Gartenfrüchte der näheren Umgebung und Fisch angeboten. Wir kauften Tomaten und Mangos. Bei den hohen Temperaturen ist diese Art der Nahrung ausreichend.
Wir suchten in Ujiji den Beginn der Karawanenstraße. Diese  wurde durch Mangobäume begrenzt die entweder zufällig, aus den weggeworfenen, der als Nahrung dienenden, Steinen der Mangofrucht entstanden waren, oder, was wahrscheinlicher scheint, sie war bewusst  als Schatten und Nahrungsspender angelegt wurden.


Dorfszene in Ujiji










Die Bäume standen 30 Meter auseinander, dennoch bildeten ihre Kronen ein geschlossenen Dach. Es war in dieser Allee deutlich kühler als außerhalb. Der Marsch zur Küste konnte beginnen. Wir liefen los. Unter den Bäumen spielte sich ein Teil des Dorflebens ab. Nach 10 Minuten Marsch, waren wir am Ende des Dorfes angekommen. Noch zwei Monate in dieser Richtung und wir wären am Indischen Ozean. Also gingen wir zurück, verfehlten die Ruinen der Kirche und gelangten zum Ausgangspunkt unserer Erkundungen in Ujiji. Mit dem Dalla-Dalla waren wir in 20 Minuten wieder in Kigoma.